
Die meisten Ex-Libris in unserer Ausstellung jüdischer Ex-Libris in der Schweiz stammen von Juden oder Jüdinnen, die jüdisch geboren wurden. Das Ex-Libris, das wir heute vorstellen wollen, ist eine Ausnahme, denn es ist das Ex-Libris eines Konvertiten.
Jochanan Arnon (1941-2017) war ein sehr bekannter Bibliothekar und Literaturwissenschaftler in Israel. Er war Leiter der Echad ha-Am Bibliothek in Tel Aviv und schrieb einige der wichtigsten Bücher über den Dichter Uri Zvi Grinberg und Nobelpreisträger Shai Agnon.
Weniger bekannt ist, dass Jochanan Arnon ein Pfarrerssohn war, der in Schwyz als protestantischer Christ mit dem Namen Willy Arnold geboren wurde. Seine Familie glaubt, von Karl dem Grossen abzustammen.
In einem Interview mit der israelischen Zeitung Maariv (30.11.1969) erzählte Arnon:
Ich wurde evangelisch in der katholischen Umgebung der Stadt Schwyz geboren. Die Einstellung uns gegenüber war die einer Minderheit. Ich wurde ständig von den katholischen Kindern wegen meiner Religion geschlagen und schikaniert. Als ich 12 Jahre alt war, zog ich nach Basel und plötzlich war ich auf der Seite der Mehrheit. Dann lernte ich eine andere Minderheit kennen — die Juden, und ich hatte das Verlangen mich mit ihnen zu identifizieren.

Gemeinde- und Bibliothekskommissionsmitglied Esra Wyler, der in Basel aufgewachsen und zusammen mit Willy Arnold in die Realschule gegangen ist, konnte uns ein bisschen mehr erzählen:
Willy Arnold war ein grosser und kräftiger Junge. Er begleitete mich und meinen Bruder öfters von der Schule nachhause, um uns vor einem anderen Klassenkameraden zu schützen, der es auf uns jüdische Jungens abgesehen hatte. Er scheute auch nicht davor zurück, gegebenenfalls seine Fäuste sprechen zu lassen.
Der junge Willy Arnold lernte mehr und mehr über das Judentum und war davon fasziniert. Einen grossen Einfluss auf ihn hatte der damalige Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Basel Leo Adler (1915-1978), der ihn ermutigte und ihm half, das Judentum tiefer kennenzulernen. Der Entschluss, zu konvertieren, war bereits gefasst, aber er war noch zu jung, um dies legal zu tun. Als Bücherliebhaber hatte er in Basel bereits eine Ausbildung zum Bibliothekar und Buchhändler begonnen und zog kurzzeitig nach Freiburg, um sein Französischstudium fortzusetzen.

Dort habe ich aus erster Hand erfahren, wie eine sterbende jüdische Gemeinde aussieht. Ich war in der Synagoge dort und sie konnten kaum einen Minjan abhalten. Während des Gebets lasen sie die Zeitung und besprachen ihre täglichen Geschäfte miteinander. Rabbiner Margulies [Isaak Margulies (1924-2014)], ein junger religiöser Mann, der gerade sein Studium an der Pariser Ecole Rabbinique beendet hatte, war sehr froh über meine Ankunft. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und ich habe viel von ihm gelernt. Als ich zurück nach Basel kam, erzählte ich Rabbiner Adler von meinem Wunsch zu konvertieren und er konvertierte mich zum Judentum. Ich hätte in Basel leicht einen Job als Buchhändler bekommen können, aber ich beschloss, dass ich als Jude nach Israel gehen und dort leben sollte.

Willy Arnold zog zunächst in einen Kibbuz, wo er seine zukünftige Frau Yael kennenlernte, die Tochter von Rabbiner Maatok Dabi, einem der bekanntesten Rabbiner in Ägypten. In seiner Zeit in Israel änderte er auch seinen Namen in einen, der besser zu seiner neuen jüdischen und hebräischen Umgebung passte, und aus Willy Arnold wurde Jochanan Arnon. Vom Kibbuz zog das Paar nach Tel Aviv, wo Arnon zunächst als Buchhändler arbeitete und dann einer der bekanntesten Bibliothekare Israels wurde.

Arnon war ein bekannter Bibliophiler und Büchersammler. Er hatte auch eine riesige Sammlung jüdischer Ex-Libris und schrieb über dieses Thema. Sein eigenes Ex-Libris wurde von dem Künstler Osias Hofstatter (1905-1994) angefertigt. Hofstatter (eigentlich Hofstätter) wurde in Galizien geboren, in Frankfurt und Wien aufgezogen, flüchtete vor den Nazis nach Belgien, wurde von dort als ‘deutscher Spion’ nach Frankreich ausgewiesen, gefasst und ins Lager Gurs gebracht. Dort zeichnete er auf Packpapier am Boden, floh nach dem Zusammenbruch Frankreichs vor den Deutschen und gelangte irgendwie über die Schweizer Grenze in ein Internierungslager. Dank eines amerikanischen Komitees, dem er seine Arbeiten einschickte, wurde ihm die Weiterführung seines Studiums in Zürich erlaubt. 1947 veranstaltete er seine erste Kunstausstellung in Basel und 1957 liess er sich in Israel nieder. Seine Kunst ist expressionistisch, aber er ist vor allem als ‘Holocaust-Künstler’ bekannt.


Die Herkunftsfamilie Arnons (Arnold) hatte ein Familienwappen, das vom Künstler Hofstatter miteinbezogen wurde. Über die Bedeutung seines einzigartigen Ex-Libris erzählte Jochanan Arnon:
Er [Hofstatter] “spielte”, wie er sich ausdrückte, mit unserem Familienwappen, bis sich der Löwe mit dem Äskulap-Stab in einen Hund mit Gabel verwandelte, fügte einen siebenarmigen Leuchter sowie Bücher und Leserköpfe hinzu; und so bin ich heute stolzer Besitzer eines Hofstatter-Exlibris, das nicht nur hochmodern, sondern zugleich mittelalterlich wirkt.
Oded Fluss. Zürich, 24.11.2022
Vielen Dank Oded, für diesen schönen Text. Es erfüllt mich mit Freude ihn zu lesen.
Und danke für deine Hilfe, lieber Esra!
Die wöchentlichen Informationen aus der Bibliothek sind interessant, lehrreich und bereichernd.Ich schätze sie sehr!
Vielen Dank!
Judith Soleman
Vielen Dank Judith!
Super spannend! Besten Dank für den Beitrag!
Vielen Dank!