Louis Lamm – Schicksal eines jüdischen Verlegers

„Immer und allenthaben merkte ich: habent sua fata libelli [Bücher haben ihre Schicksale] – aber auch Buchhändler haben ihre Schicksale.“
Louis Lamm – Meine Buchhandlung. Neue jüdische Monatshefte 25.10.1919.

Manchmal klafft eine grosse Lücke zwischen dem, was ein Mensch hinterlässt, und der Erinnerung an ihn. In unserer Bibliothek befinden sich zahlreiche Bücher, die den Namen Lamm tragen. Die meisten davon sind Bücher, die im L. Lamm Verlag erschienen sind. Einige tragen jedoch den Namen Louis Lamm als Autor, und in diesen finden wir manchmal kleine Widmungen, in denen der Name auch handschriftlich vorkommt. In einem Fall ist der Name Louis Lamm auch als Besitzer eines Buches auf einem Exlibris vermerkt.

Ex Libris Louis Lamm. Aus „Geschichte der Juden im ehemaligen Fürstenthum Ansbach“. Carl Junge Verlag. Ansbach, 1867. D 2549

All dies erlaubt uns, diesen Beitrag Louis Lamm (1871-1943) zu widmen, einem Buchhändler, Verleger, Autor und Bücherliebhaber, der sich der Kunst des Erinnerns verschrieben hat und selbst fast völlig in Vergessenheit geraten ist.

Louis Lamm wurde am 12. Dezember 1871 in Wittelshofen als eines von sieben Kindern einer jüdisch-orthodoxen Familie geboren. Als er drei Jahre alt war, zog die Familie nach Buttenwiesen, wo er bis zu seinem 13. Lebensjahr blieb. Knapp 20 Jahre später schrieb er zwei Büchlein über die kleine Gemeinde Buttenwiesen:

Bild aus Louis Lamms „Zur Ortgeschichte von Buttenwiesen“. Berlin, 1902. B 1569

Das erste ist ein Separatabdruck aus dem Jahrbuch des Historischen Vereins Dilingen und trägt den Titel „Zur Ortgeschichte von Buttenwiesen“. Es ist 1902 in Berlin erschienen und behandelt die allgemeine Geschichte des Buttenwiesener Ortsgebietes seit dem 12. Jahrhundert. Lediglich ein kurzes Kapitel mit dem Titel „Streitigkeiten zwischen der israelitischen und christlichen Gemeinde“ befasst sich mit der jüdischen Gemeinde und ihren Problemen mit der christlichen Gemeinde in Buttenwiesen zu Beginn und Mitte des 18. Jahrhunderts.

Louis Lamm – Das Memorbuch in Buttenwiesen. Berlin, 1902. B 1570.

Das zweite Buch, das uns mehr interessiert, ist „Das Memorbuch in Buttenwiesen“, das ebenfalls 1902 in Berlin erschien. Dieses Buch, das auch als Separatabdruck erschien, diesmal aber in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, ist der Versuch, das alte Memorbuch der jüdischen Gemeinde Buttenwiesen zu rekonstruieren und wieder zum Leben zu erwecken. Das ursprüngliche Memorbuch umfasste 26 Seiten, von denen einige durch Alter und Abnutzung bereits unleserlich geworden waren. Laut Louis Lamm war es sein Vater Max Lamm (1842-1917) gewesen, der als erster die Initiative ergriffen hatte, das Originalbuch, das sich in einem sehr schlechten Zustand im Besitz der örtlichen jüdischen Gemeinde befand, zu restaurieren. Louis Lamm übersetzte in diesem Buch die hebräischen Passagen, die das Martyrium der Juden der Gemeinde und die häufigen Pogrome gegen sie beschreiben.

Schon in diesen beiden kleinen Büchern wird deutlich, dass Louis Lamm immer sowohl ein objektives als auch ein persönliches Interesse an den Büchern hatte, die er schrieb und verlegte. Bücher waren für ihn immer sowohl Mittel zur Verbreitung von Wissen als auch Ziel: die Fortführung und Wiederbelebung des jüdischen Buches. Eine weitere persönliche Note finden wir in diesen beiden Büchern in den handschriftlichen Widmungen Lamms an „Fräulein Dr. Augusta Steinberg“. Beide Widmungen sind schlicht mit „vom Verfasser“ unterschrieben und auf Dezember 1902 datiert.

Ex Libris Familie Weldler

Frau Steinberg ist uns besser bekannt als Dr. Augusta Weldler-Steinberg (1879-1932), eine Schweizer Historikerin und zionistische Aktivistin, die mit dem Schweizer Journalisten und Zionisten Norbert Weldler (1884-1961) verheiratet war. Beide waren leidenschaftliche Büchersammler, und unsere Bibliothek hatte das Glück, einen grossen Teil ihrer Sammlung als Schenkung zu erhalten.

Widmung in Leo Baecks „Das Wesen des Judentums“. Verlag von Nathansen & Lamm. Berlin, 1905. D 193(1)

Ein weiteres sehr wertvolles Buch von Louis Lamm, das Augusta Weldler gewidmet ist (diesmal mit seinem Namen signiert), ist das vielleicht wichtigste Buch des Rabbiners Leo Baeck „Aus Wesen des Judentums“. Die erste Ausgabe erschien 1905 in Berlin im Verlag Nathansen & Lamm und war eines der ersten Bücher, die Louis Lamm verlegte. 1903 eröffnete er zusammen mit Bernhard Nathansen das Antiquariat und Sortiment Nathansen & Lamm in der Neuen Friedrichstrasse in Berlin. Neben Büchern verkaufte er auch Judaica und trat damit in die Fussstapfen seines Vaters Max Lamm, der in Buttenwiesen ebenfalls ein Judaica-Geschäft betrieb.

Anzeige für den Judaica-Laden von Max Lamm. Der Israelit 12.11.1896.

Ab 1905 führte Louis Lamm die Judaica-Fachbuchhandlung allein und betrieb von dort aus einen Verlag. Dank seiner Kenntnisse und seines Know-hows auf dem Gebiet der jüdischen Geschichte wurde der L. Lamm Verlag zu einem der wichtigsten und einflussreichsten jüdischen Verlage des frühen 20. Jahrhunderts. Von Kabbala bis zu jüdischen Kinderbüchern erschien alles was Qualität hatte.

E. Flanter – Im Strahlenglanze der Menorah. Louis Lamm Verlag. Berlin, 1920. D 170.

Eine der interessantesten Buchveröffentlichungen des Lamm Verlags fällt in die Zeit des Ersten Weltkriegs. In dieser Zeit, in der viele deutsche Juden eine patriotische Haltung einnahmen, veröffentlichte Lamm seine einzigartige Buchreihe Lamm’s jüdische Feldbücherei: kleinformatige Bücher für jüdische Soldaten, die sie mit an die Front nehmen konnten. Darüber hinaus veröffentlichte er eine Reihe von Postkarten –Lamms jüdische Kriegspostkarten – und 1916 ein Verzeichnis jüdischer Schriften über den Krieg.

Der Krieg und wir Juden. Lamm’s Jüdische Feldbücher Nr. 1. Berlin, 1915. B 1156.

1933 musste Lamm nach Amsterdam emigrieren. Dort eröffnete er im Gebäude Amstel 3 ein Antiquariat und ein Judaica-Geschäft; seine Frau und seine Tochter folgten ihm. In Amsterdam führte er sein Geschäft weiter und gab einige sehr wichtige Judaica-Kataloge heraus. Zu seinem 70. Geburtstag am 12.12.1941 veröffentlichte die niederländische Wochenzeitung Het Joodsche Weekblad einen Artikel zu seinen Ehren mit einem aktuellen Foto.

Nach der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten wurde Lamm im Durchgangslager Westerbork inhaftiert. Im November 1943 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert und dort am 19. November 1943 zusammen mit seiner Tochter Ruth Fanny Lamm ermordet.

Signet des Louis Lamm Verlags

Louis Lamm ist fast vergessen, aber seine Bücher leben weiter. In unserer Bibliothek gibt es unzählige Bücher von grosser historischer Bedeutung, die im Verlag L. Lamm erschienen sind. Für uns hier in der Schweiz ist seine faksimilierte Neuausgabe der Sammlung Jüdischer Geschichten in der Schweiz (ursprünglich veröffentlicht 1768) von Johann Caspar Ulrich aus dem Jahr 1922 von grosser Bedeutung.

Johann Caspar Ulrich – Sammlung Jüdischer Geschichten in der Schweiz. Louis Lamm Verlag. Berlin, 1922. D 2727


Ein weiteres erwähnenswertes Buch aus unserer Bibliothek ist Alfred Feilchenfelds Grundzüge der jüdischen Geschichte in nachbiblischer Zeit. Dieses von den Nazis geraubte Buch, das sowohl den Namen Louis Lamm als auch den Stempel des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands trägt, erzählt das Schicksal eines vergessenen Buchliebhabers und Verlegers.

Alfred Feilchenfeld – Grundzüge der jüdischen Geschichte in nachbiblischer Zeit. Louis Lamm Verlag. Berlin, 1918. B 3566.

Oded Fluss. Zürich, 12.6.2023

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2 Kommentare zu „Louis Lamm – Schicksal eines jüdischen Verlegers

  1. Danke, dass ihr diese tollen Beiträge schreibt! Ihr bringt damit die Geschichte der Bibliothek zu den Leuten welche sonst verborgen bliebe.

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