Der jüdische Verlag mit dem Hakenkreuz

Im „Giftschrank“ unserer Bibliothek – wo wir antisemitische Bücher und Dokumente aufbewahren – befindet sich eine kleine Broschüre, die 1925 im berüchtigten Hammer Verlag in Leipzig unter dem Titel „Der deutsche Buchhandel und das Judentum – ein Menetekel“ erschienen ist. Der Autor, der sich hinter dem Pseudonym „Lynkeus“ versteckt, ist eine eher obskure Figur namens Rudolf Linke.1. Sein „Menetekel“ ist die bekannte Verschwörungstheorie, dass die Juden den deutschen Buchhandel und Journalismus übernommen haben, um das deutsche Volk einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Sein angebliches Ziel in diesem Buch ist es, diese Juden zu entlarven, die seiner Meinung nach alles tun, um sich als solche zu verschleiern.

Die jüdische Mimikri sorgt dafür, dass in vielen Fällen aus den Namen der Firmen und Besitzer die Zugehörigkeit zum Judentum nicht hervorgeht: Der „verdächtige“ Vorname wird abgekürzt, der östliche Familienname, unter der passiven Förderung amtlicher Stellen, eingedeutscht, und wo dieses Ziel noch nicht ganz erreicht ist, da wählt man wohlklingende Firmenbezeichnungen, deren Neutralität zu durchschauen in den seltensten Fällen gelingen will. Zwar hilft mitunter der Name des Direktors, Geschäftsführers oder Prokuristen weiter, wenn es sich um eine Aktiengesellschaft oder eine G. m. b. H. handelt; es gibt aber grosse Konzerne, die ohne Angabe auch nur eines einzigen Eigennamens auszukommen verstehen. Sie werden schon wissen warum.

Das Buch stellt dann eine Liste mit über 200 Einträgen von Buchhandlungen, Buch- und Zeitungsverlagen und Antiquariaten vor, die sich im Besitz von Juden befinden, und „enttarnt“ sie als solche. Der Autor, der sich auf die berüchtigten und gefälschten zionistischen Protokolle stützt, behauptet eine „Verjudung“ und „Vergiftung“ der deutschen Kultur durch die jüdischen Buchhändler und möchte die „naiven“ Deutschen warnen, bevor sie bei ihnen kaufen.
Wie die meisten antisemitischen Bücher ist auch dieses kaum eine Erwähnung wert und enthält hauptsächlich grausame Lügen und Verleumdungen. Es gibt jedoch einen Eintrag in diesem Buch, der unser Interesse weckt, und sei es nur, um einen Ausgangspunkt für eine ziemlich rätselhafte Sache zu bieten.
Während die meisten Einträge sich damit begnügen, den Namen des Unternehmens, seinen Sitz und den Namen des jüdischen Inhabers anzugeben, sind einige ausführlicher und gehen auf spezifische Details ein. Unter dem Kapitel „Der Schönwissenschaftliche Verlag“, das sich mit Buchverlagen befasst, die Belletristik, Literatur, Poesie und Kunst publizieren, finden wir einen relativ langen Eintrag über den Georg Bondi Verlag:

Georg Bondi, Berlin. Inh.: Dr. phil. Georg Bondi.

Den Kern des Verlags bildet der Kreis der „Blätter für die Kunst“. Dessen geistiges Haupt, Stefan George, ist wohl kein Jude, aber das Judentum spielt in seinem Kreise eine unverhältnismäßig große Rolle: Hugo von Hofmannsthal, Ludwig Klages, Karl Wolfskehl, Leopold Andrian, Friedrich Gundolf (-Gundelfinger), gehören dazu. Die meisten dieser Autoren haben auch Bücher bei Bondi erscheinen lassen. — Als besonders taktlos muß es gerügt werden, daß sich der jüdische Verlag Bondi nicht scheut, auf den Einbänden der Bücher seiner jüdischen Autoren das arische Heilszeichen des Hakenkreuzes anzubringen.

Georg Bondi wurde 1865 in Dresden als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren. Er studierte Germanistik und promovierte in Leipzig. Dann begab er sich nach Berlin, wo er im Jahre 1895 den „Georg Bondi Verlag“ gründete. 1897 lernte er den damals noch eher unbekannten Dichter Stefan George kennen und fühlte sich, wie viele andere auch, sofort zu ihm und seinem Werk hingezogen. Der Bondi Verlag sollte der Hausverlag für Stefan George und seinen Kreis werden und entwickelte eine ganz eigene Ästhetik und einen Stil, der von gnostischen, mythologischen und kosmischen Motiven beeinflusst war und jede Publikation bis hin zum kleinsten Prospekt und Inserat verzierte. Dieser Stil passte zum eher esoterischen Gedankengut des George-Kreises, der oft als Sekte gesehen wurde, die ihrem ‚Meister‘, dem Propheten Stefan George, folgte – einem Mann, der sowohl ein genialer Dichter als auch ein sehr exzentrischer Mensch war.

Ähnlich wie Bondi selbst waren viele der Mitglieder des George-Kreises jüdischer Herkunft, aber meist assimiliert und nicht auf ihre jüdische Identität bedacht. Bondi hatte sich sogar öffentlich von seinem Judentum losgesagt, wie wir in einer kleinen Anzeige vom 13. Juli 1911 im „Israelitischen Familienblatt“ lesen können.

Das hielt die Antisemiten (auch innerhalb des George-Kreises) nicht davon ab, den „jüdischen Einfluss“ auf George, der als der deutscheste aller Dichter galt, und seinen Kreis zu kritisieren. Diese Kritik erhielt zusätzlichen Auftrieb durch das bereits erwähnte „arische Heilszeichen“, das der Bondi Verlag als Signet in vielen seiner Veröffentlichungen verwendete. Erschwerend kam hinzu, dass die erste Publikation, die das Hakenkreuz-Symbol trug, von dem Dichter und Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf (1880-1931) stammte, damals Stefan Georges rechte Hand und ein Jude.

Wie viele andere grafische Werke für den Georg Bondi Verlag wurde auch dieses Signet vom George-Kreis-Mitglied und begabten Künstler Melchior Lechter (1865-1937) entworfen. Dieses „Hakenkreuz“, oder besser gesagt diese „Swastika“, war eines von mehreren von Lechter entworfenen Signets und wurde speziell den wissenschaftlichen und biographischen Werken des George-Kreises zugedacht.

Verschiedene Signete des Georg Bondi Verlags

Das Design erschien bereits 1910, also bevor die Swastika von der nationalsozialistischen Partei als Symbol übernommen wurde und daher noch ein „unschuldiges“ Symbol war. Ursprünglich war die Swastika ein religiöses Kultursymbol, das vor allem in den verschiedenen antiken euroasiatischen, afrikanischen und amerikanischen Kulturen verwendet wurde; in der indischen Religion war es (und ist es immer noch) ein Symbol für Spiritualität und Göttlichkeit. Lechter liess sich auf einer seiner Indienreisen von diesem Symbol inspirieren und übernahm es, angeregt durch die kosmische Abteilung des George-Kreises (Alfred Schuler, Ludwig Klages, Karl Wolfskehl und Albert Verwey).

Die Kosmiker v. l. n. r.: Karl Wolfskehl, Alfred Schuler, Ludwig Klages, Stefan George, Albert Verwey

In den 1920er Jahren, als das Swastika zum Hakenkreuz wurde, tauchten immer mehr Kritiker auf, die Stefan George und seinen Kreis mit der Nazi-Partei in Verbindung brachten2 und – wie wir oben gesehen haben – kritisierten, dass die Juden das Hakenkreuz benutzten, um sich zu tarnen. Dies veranlasste Georg Bondi, in seinem Verlagskatalog von 1927 eine Erklärung abzugeben, in der er dieses Problem ansprach:

Das Innenteil der vorstehenden Vignette wird vielfach fälschlich als „Hakenkreuz“ gedeutet. Demgegenüber sei festgestellt, daß dieses Innenteil schon seit 1910 auf Veröffentlichungen der „Blätter für die Kunst“ zu finden ist, und daß die obige Vignette in der jetzigen Gestalt seit 1916 den Werken der Wissenschaft aus dem Kreise der Blätter für die Kunst aufgedruckt ist. Als dieses uralte (indische) Zeichen im Oktober 1918 „Hakenkreuz“ benannt wurde und seinen heutigen Sinn bekam, konnte der Kreis der Blätter für die Kunst sein seit vielen Jahren eingeführtes Signum nicht abschaffen. Wer die unter diesem Zeichen veröffentlichten Bücher auch nur flüchtig kennt, dürfte wissen, daß sie mit Politik nichts zu tun haben.
Erstes Auftauchen der Swastika in Friedrich Gundolfs Übersetzung von Shakespeare’s „Coriolanus“ (Bondi Verlag, 1910).

Das Swastika-Symbol wurde von den Mitgliedern (Vor allem den Juden) des George-Kreises zunächst in seiner unschuldigen Bedeutung wahrgenommen. Sie hatten sich erlaubt, seine neu hinzugekommene Bedeutung zu ignorieren und zu verdrängen. Dies konnte jedoch nur kurz anhalten.3 Die Verwendung des Hakenkreuzes durch die nationalsozialistische Propaganda hatte es zu einem der berüchtigtsten Symbole der Menschheitsgeschichte gemacht und ihm seine ursprüngliche Bedeutung völlig beraubt.

Rückseite des „Jahrbuch für die geistige Bewegung“. Herausgegeben von Friedrich Gundolf und Friedrich Wolters. Verlag der Blätter für die Kunst. Berlin, 1910.

Eine kleine Geschichte, die der Wirtschaftswissenschaftler Edgar Salin (1892-1974) in seinem Buch „Um Stefan George“ erzählt, bringt den tragischen Moment der Erkenntnis. Die Szene spielt nach der Beerdigung von Friedrich Gundolf, dem ersten aus dem Kreis, der die Swastika als dekoratives Element in seinem Buch hatte. Es ist Juli 1931 und Salin und Karl Wolfskehl, beide Juden aus dem George-Kreis, gehen über den Heidelberger Bergfriedhof und kommen ins Gespräch:

Dort auf dem Friedhof begann auch das Zeit-Gespräch, das nicht mehr abreissen sollte. Wir waren schon lange gewandert, hatten unter Tränen Erinnerungen getauscht und das Bild des Teuren so herzlich und stark beschworen, dass er im Geiste, wie einst im Leben, federnd und sprühend und beglückend mit uns schritt. Plötzlich blieb Wolfskehl mit allen Zeichen des Entsetzens stehen. Wir befanden uns in einer Reihe, in der einige Grabsteine neu errichtet waren, und der Blick des Blinden hatte einen Stein gesichtet, nein gewittert, den ein Hakenkreuz verunzierte. ,,Edgar! Das Zeichen!‘‘ stammelte er, ,,An heiliger Stätte verdrängt die Svastika das christliche Kreuz! Fort, fort, fort von hier“.

Oded Fluss. Zürich. 18.1.2023

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  1. In vielen Publikationen und Bibliotheken wird das Buch dem jüdischen Philosophen Joseph Popper-Lynkeus zugeschrieben, was offensichtlich ein schlimmer Fehler ist.
  2. Das war nicht der einzige Grund, aber das problematische Verhältnis Stefan Georges und seines Kreises zum Nationalsozialismus soll hier nicht diskutiert werden.
  3. Walter Benjamin hatte den Untergang des Swastika-Symbols des George-Kreises, das er als „Lechter-Sonne“ bezeichnete, in seinem Text „wider ein Meisterwerk“ von 1930 treffend beschrieben.

3 Kommentare zu „Der jüdische Verlag mit dem Hakenkreuz

  1. Vielen Dank für die spannende Zusammenstellung !
    Ich bin erstaunt, dass Wolfskehl schon 1931 als Blinder charakterisiert wird.

  2. Ich bin immer wieder erstaunt, was in der ICZ-Bibliothek für Schätze lagern. Es ist wunderbar, dass diese gehoben und dargestellt werden. Und es ist gut, dass das öffentlich geschieht. Mögen es viele zur Kenntnis nehmen!

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