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Von Max und Moritz zu Schimon und Lewy

Wilhelm Busch – Max und Moritz. Verlag von Braun und Schneider. München, 1865.

Für die einen ist es eine schöne Erinnerung an ein lustiges Buch, für die anderen ein Kindheitstrauma: Max und Moritz von Wilhelm Busch, erstmals 1865 veröffentlicht, gilt als Kinderbuchklassiker und wurde in unzählige Sprachen übersetzt. Weniger bekannt ist, wie häufig das Buch in der jüdischen Literatur auftaucht.

A. Liboschizki – Schimon ve-Lewy: Ma’asija. Tushija Verlag. Warschau, 1913. H 123

Schimon und Lewy, die Brüder, – Werkzeuge des Frevels sind ihre Schwerter. (Genesis 49,5)

Bereits 1913 wurde Max und Moritz unter dem etwas biblischen Namen שמעון ולוי [Schimon und Lewy] erstmals ins Hebräische übersetzt. Das Fehlen der bekannten Originalillustrationen, die Hebraisierung des Buchtitels und die Tatsache, dass der Übersetzer Aharon Liboschizki (1874-1942) fast alle Spuren des ursprünglichen Autors – der nur in einer kleinen Fussnote auftaucht – getilgt und sich selbst zum Autor gekrönt hat, lassen schwer erkennen, dass es sich tatsächlich um dasselbe Buch handelt. Doch wenn man das Buch aufschlägt, findet man genau dieselbe Handlung der beiden Lausbuben, jetzt als wilde Jeschiwah-Jungen verkleidet:

Wir lesen oft von aufsässigen Kindern, die das Herz ihrer Väter traurig machen. Da sind zum Beispiel die Jungen Schimon und Lewy, die, statt zu lernen und Gutes zu tun, faul waren und die Moral von Vater und Mutter verachteten.

Wilhelm Busch – Notel un Motel. Zekhs stiftr meshh’lakh. frey bearbet in iudish durkh Josef Tunkel. Farlag “brider levin-epshteyn un shutafim”. Warschau, 1920.

Der nächste Auftritt der beiden Schurken in der jüdischen Literatur sollte nicht auf Hebräisch, sondern auf Jiddisch erfolgen. 1920 erschien in Warschau ein Buch von Wilhelm Busch mit dem humorvollen Titel נאטעל און מאטעל [Notel und Motel]. Es war die erste Übersetzung von Max und Moritz ins Jiddische und stammte vom Dichter, Schriftsteller, Karikaturisten und Übersetzer Josef Tunkel (auch “der Tunkeler” genannt). Dieses Buch, diesmal mit den Originalillustrationen, folgt dem deutschen Original, überträgt die Sprache aber vollständig ins Jiddische, ohne auch nur eine Spur des deutschen Sprachgefühls zu hinterlassen.

itster, kinder, haida! shneler! / di almnah kumt fun keler! /- khevreh trakhten nisht keyn sakh, / eyns un tsvey – araf fun dakh; / shtelen fis un makhen pleithe, flihen gliklikhe, derfrehte

Bemerkenswert ist auch die Veränderung des Bäckers Mecke, der in der deutschen Version die Kinder am Ende der Geschichte einfängt. In der jiddischen Version werden die Kinder von Rabbi Israel gefangen genommen, der in der Illustration im Gegensatz zur deutschen Version einen langen Rabbinerbart trägt.

Am faszinierendsten sind vielleicht zwei hebräische Übersetzungen von Max und Moritz, die 1939 fast gleichzeitig in Palästina erschienen. In einer Zeit, in der die meisten zionistischen Juden versuchten, sich von der deutschen Kultur zu distanzieren, wurde dieses sehr deutsche Buch in zwei sehr unterschiedlichen hebräischen Übersetzungen von zwei Übersetzerinnen veröffentlicht.

Wilhelm Busch – Max ve-Moritz. Übersetzt von Chava Karmi. Joachim Goldstein Verlag. Tel Aviv, 1939.

Die erste, eher klassische Übersetzung von Chava Karmi erschien im Joachim Goldstein Verlag in Tel Aviv. Diese Übersetzung versuchte, dem deutschen Original so nahe wie möglich zu kommen und wurde auch מכס ומוריץ [“Max und Moritz“] genannt.
Die zweite, etwas interessantere Übersetzung stammt von der Dichterin und Kinderbuchautorin Anda Pinkerfeld Amir (1902-1981). Wie Liboschizki versuchte auch sie, der Übersetzung einen jüdischeren Anstrich zu geben, und das Buch und die beiden Lausbuben hiessen nun גד ודן [“Gad und Dan“].

Wilhelm Busch – Gad ve-Dan. Niv Verlag. Tel Aviv. H 4027

Es ist nicht sicher, aber es ist wahrscheinlich, dass die Übersetzerin diesen etwas seltsamen Titel als Hommage an ein anderes Kinderbuch wählte, das 13 Jahre zuvor erschienen war, als sie selbst noch eine junge Frau war. Das Buch mit dem gleichen Namen, nur in umgekehrter Reihenfolge, “Dan und Gad“, erschien 1936 in Berlin und war als hebräisches Lehrbuch für Kleinkinder gedacht. Im Gegensatz zu seinem Nachfolger war dieses Buch völlig naiv und die Hauptfiguren vollbrachten nur gute Taten.

Wolf Seev Neier – Dan und Gad. Illustriert von Heinz Wallenberg. Siegfried Scholem Verlag. Berlin, 1936.

Gad und Dan hingegen erzählt noch einmal, aber mit etwas mehr literarischer Freiheit, die Geschichten der beiden Lausbuben Max und Moritz. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Geschichten liegt im Ende. In der Originalfassung von Max und Moritz enden die beiden Lausbuben sehr düster: Sie werden zermahlen und an die Enten verfüttert (womit sich der Kreis schliesst, denn am Anfang haben sie die Hühner getötet). In der Übersetzung bleibt das Ende ziemlich offen und wir finden die beiden in einem Sack hängend, ohne ihr Schicksal zu erfahren.

Doch ihr Glück verliess sie / Sie bekamen, was sie verdienten / Jehuda, verflucht “zur Hölle mit euch” / Packte sie mit eiserner Hand / Und steckte sie in den Sack / “habt jetzt euren Spass im Sack!” / Er hängte den Sack auf / er hängte ihn an den Nagel / die beiden hängen wohl noch heute; / niemand eilte ihnen zu Hilfe / Die Nachricht ging durch die Stadt / Die Einwohner sangen / Der Trommler schlug die Trommel / Gad und Dan waren am Ende / Aber vielleicht kamen sie doch aus dem Sack / und wurden durch ein Wunder aus ihrer Not gerettet / Aber von Gad und Dan haben wir bis heute / nichts mehr gehört

Wilhelm Busch – Max ve-Moritz. Hebräisch von Uri Sela. Levi Epstein Verlag. 1965. H 4563

Seitdem wurde Max und Moritz drei weitere Male ins Hebräische übersetzt, wobei sich jede Version leicht von der anderen unterscheidet. Das Ende der modernen hebräischen Fassungen ist immer an die zarten Gemüter der heutigen Kinder angepasst, aber die Streiche und Schikanen der beiden Lausbuben bleiben immer gleich.

Oded Fluss. Zürich, 22.6.2023