Der Giftpilz – Antisemitisiche Nazipropaganda in Kinderbüchern.
“Das Jugendbuch vom Stürmer-Verlag ‘Der Giftpilz’ gehört in die Hand eines jeden deutschen Jungen und Mädels. Aber auch die Erwachsenen sollen daraus lernen, weil sie um der deutschen Zukunft willen nicht müde werden dürfen, ihre Kinder immer wieder zu lehren: Der Jude ist der Satan in Menschengestalt, er ist die fleischgewordene Lüge. Wer in seine Krallen kommt, ist für sein Volk und für sich selbst verloren.”
SS-Obergruppenführer Max Amann.
Die nationalsozialistische Propaganda war eines der Hauptinstrumente der NSDAP, um die Massen innerhalb und ausserhalb Deutschlands zu gewinnen und die Kontrolle über sie zu erlangen und aufrechtzuerhalten. Als solches war sie in den Jahren vor und während der Herrschaft Adolf Hitlers über Deutschland in fast jedem Aspekt des täglichen Lebens präsent, sei es durch traditionelle Methoden wie Massenversammlungen, Reden und Zeitungen oder sei es durch moderne, für ihre Zeit fortschrittliche Methoden wie Radio, Film und Fernsehen. Ziel der Propaganda war es, alle Menschen anzusprechen und dabei den kleinsten gemeinsamen Nenner der Angst zu nutzen.

Die Propaganda machte auch vor den Kindern nicht halt und begann bereits in den Kindergärten und Schulen mit speziell entwickelten nationalsozialistischen Erziehungsprogrammen die nationalsozialistische Ideologie und das nationalsozialistische Gedankengut des Nationalsozialismus so früh wie möglich umzusetzen. Begleitet wurden diese Programme von Lesestoff, der die Hauptideen der NSDAP, vor allem die Verherrlichung des Führers sowie antisemitische Überzeugungen, vermittelte. Das Lesematerial wurde sorgfältig auf Kinder zugeschnitten, indem bunte Bilder und bekannte Kindermärchen verwendet wurden, um die Botschaft zu verbreiten.

Im “Giftschrank” unserer Bibliothek befinden sich zwei dieser antisemitischen Kinderbücher, die beide im berüchtigten Verlag Der Stürmer erschienen sind, der von einem der obersten Propagandisten der NSDAP, Julius Streicher, geleitet wurde. Streicher, der auch Gründer, Eigentümer und Herausgeber des antisemitischen, politpornografischen Hetzblattes Der Stürmer war, hatte grossen Einfluss auf die beiden Bücher – wie man unschwer an der grafischen Gestaltung erkennen kann, die seiner Zeitung sehr ähnelt – sowie an seiner Figur in diesen Büchern.

Das erste Buch, das wir uns anschauen werden, ist das Buch mit dem langen Titel Trau keinem Fuchs auf grüner Heid, und keinem Jud bei seinem Eid. Es ist das erste von drei Kinderbüchern, die im Stürmer Verlag erschienen sind. Es wurde 1936 in Nürnberg gedruckt und von der damals 18-jährigen Elvira Bauer geschrieben und illustriert. Die etwas merkwürdige Schrift, in der es gedruckt wurde, ist die Sütterlinschrift, die damals als Schreibschrift für Anfänger galt und in Schulen verwendet wurde, um jungen Schülern das Schreiben beizubringen.

Schon am Einband und am Titel erkennt man die schwerwiegenden antisemitischen Motive, die in der Verkleidung eines bunten Kinderbuches zum Ausdruck kommen. Die Figur des Fuchses, der in Kindermärchen häufig als Symbol für das Gerissene und Verschlagene verwendet wird, wird hier mit dem Juden in Verbindung gebracht, der in ähnlicher Weise betrachtet werden sollte. Der Jude auf dem Einband hat die gleichen ‘stürmerischen’ Motive, die Streicher oft in seiner Zeitung verwendete (hässlich, kahlköpfig mit einer langen, krummen Nase). Er hebt seine Finger wie zum Eid.

Die unschuldig wirkende Autorin, die zu allem Überfluss auch noch als Kindergärtnerin gearbeitet hat, verliert keine Zeit und schon auf der ersten Seite des Buches begegnen wir einem schrecklichen “Kindergedicht” mit dem Titel “Der Vater des Juden ist der Teufel”. Wir werden nur einen kleinen Teil dieses sogenannten Gedichtes abschreiben, um einen kleinen bitteren Vorgeschmack zu geben:

Als Gott, der Herr, Die Welt gemacht,
Hat er die Rassen sich erdacht:
Indianer, Neger und Chinesen,
Und Juden auch, die bösen Wesen.
Obwohl sich das Buch an Kinder wendet, bedient es die schlimmsten antisemitischen Klischees auf abscheulichste grafische, manchmal sogar pornographische Weise. Der Jude wird immer als hässlich, schmutzig, manipulativ, böse, faul und geizig dargestellt, im Gegensatz zum “Arier”, der immer schön, moralisch, sauber, fleissig und oft naiv ist. Der wahre Gott des Juden ist das Geld, und der Sabbat ist für ihn nur ein Vorwand, um die “Gojim” seine Arbeit machen zu lassen. Der Jude wird auch als derjenige dargestellt, der “reindeutsche” Frauen stehlen will.

Was ist der Jud ein armer Wicht!
Mag seine eigenen Frauen nicht!
Er meint, er sei entsetzlich schlau
Wenn er sich stiehlt ‘ne deutsche Frau
Das vielleicht Schrecklichste an diesem Buch ist, dass es den Kindern Angst vor ihren Mitmenschen einimpft. Die jungen Leser lernen aus diesem Buch, dass ihre jüdischen Freunde, Nachbarn und Klassenkameraden böse Wesen sind, die sich als ihre Mitmenschen tarnen. Sie können sich als Deutsche ausgeben, indem sie ihren Namen ändern; ihre Eltern können in die deutsche Kultur und in deutsche Berufe einsteigen; sie können sich sogar taufen lassen, aber sie werden immer Juden bleiben. Ihr einziges Ziel ist es, die “reinen” arischen Deutschen auszunutzen, ihnen zu schaden und von ihnen zu profitieren.
Damit den Jud man soll nicht kennen,
Tat bald er anders sich benennen.
Ein Nathan heisst bald Jonathan.
Herr Levin hängt ein “son” sich dran.

Das Buch steigert sich zu einem sogenannten Happy End: Mit Hilfe von Stürmer und Streicher begreifen die Deutschen endlich die Gefahr, die von den Juden ausgeht. Sie verkehren nicht mehr mit Juden, stellen sie nicht mehr ein und kaufen nicht mehr in ihren Geschäften. Das Buch endet mit einer alptraumhaften Utopie, in der alle Juden – Männer, Frauen und Kinder – aus Deutschland vertrieben werden.

Im fernen Süden liegt das Land
Wo einst der Juden Wiege stand.
Dorthin soll’ n sie mit Frau und Kind
So schnell wie sie gekommen sind!-
Seht an das jammervolle Bild!
Die Juden garstig frech und wild:
Den Abraham, den Levinson
Rebekkchen mit Sohn Jonathan,
Dann Simon und auch Aaron Kahn-
Wie sie die Augen rollen
Und sich von dannen trollen.
Ein weiteres schreckliches Beispiel dieser Kinderbüchern, welches sich in unserem Giftschrank befindet, ist das zwei Jahre später ebenfalls im Stürmer Verlag erschienene Buch Der Giftpilz.

Im Gegensatz zum letzten Buch, das wir besprochen haben und dessen Texte bewusst kindlich und in Form von eingängigen Liedern gestaltet waren, präsentiert sich dieses Buch pädagogischer und seriöser. Das erste Kapitel, das die Moral des ganzen Buches erklärt, wird in Form einer Fabel erzählt: Eine Mutter und ihr Sohn sind im Wald auf der Suche nach Pilzen, der Sohn stolpert über einen unschuldig aussehenden Pilz und pflückt ihn. Die Mutter ist jedoch entsetzt und erkennt sofort, dass es sich um einen giftigen Pilz handelt. Die Moral der Fabel lautet “Wie die Giftpilze oft schwer von den guten Pilzen zu unterscheiden sind, so ist es oft sehr schwer, die Juden als Gauner und Verbrecher zu erkennen…”.

Das Buch stützt seine antisemitischen Angriffe auf das äussere Erscheinungsbild sowie auf religiöse, ethische und moralische Werte. Es gibt Kapitel, die zeigen, wie Kinder im Unterricht über “die Juden” lernen, dass Juden krumme Nasen haben (“Sie sieht aus wie ein Sechser…”), dass sie schmutzig sind, dass ihre Körper von Lügen verseucht sind und dass sie abstehende Ohren haben. Die Vorstellung, dass das äussere Erscheinungsbild eines Menschen seine inneren Qualitäten widerspiegelt, wird oft in Märchen unterstrichen, in denen Prinzessinnen als schön, gut und freundlich dargestellt werden, während böse Stiefmütter und Hexen meist als hässlich, böse und grausam beschrieben werden.

In den folgenden Kapiteln werden die Juden angegriffen, indem ein verzerrtes Bild des Talmuds gezeichnet und der moralische Kern der jüdischen Gesellschaft angegriffen wird. Es gibt zum Beispiel ein Kapitel, in dem ein jüdischer Junge, Sally, den Talmud für seine Bar Mitzwa lernt. Sein Rabbi fragt ihn nach Sprichwörtern, die er von “Nichtjuden” gehört hat, und Sally nennt ihm zum Beispiel das Sprichwort “Arbeit schändet nicht”. Und was bedeutet dieses Sprichwort? fragt der Rabbi, “dass es keine Schande ist, wenn man arbeiten muss”. Glauben wir Juden das auch? fragt der Rabbi weiter, “Nein, das glauben wir nicht! In unserem Gesetzbuch Talmud steht geschrieben: ‘Die Arbeit ist viel schändlich und wenig zuträglich […] Die Nichtjuden sind erschaffen den Juden zu dienen. Sie müssen pflügen, säen, jäten, graben mähen, binden, sieben, mahlen. Die Juden sind erschaffen, das alles vorbereitet zu finden”. Es soll also damit gezeigt werden, dass der Talmud die Versklavung der Deutschen befürworte.

Gemäss Der Giftpilz befürwortet der jüdische Moralkodex auch eine Liste von Vergehen: von Schmuggel, Diebstahl, Betrug bis hin zum Meineid wird alles als erlaubt dargestellt, solange das Ziel des Vergehens nicht selbst Jude ist. Immer wieder wird der moralisch aufrechte Deutsche dem dekadenten Juden gegenübergestellt. Dem Juden gehe es nur darum, auf Kosten der Deutschen immer mehr Geld zu machen. Er würde alles tun, nur nicht arbeiten, um mehr Geld zu verdienen, und er würde seine deutschen Nachbarn betrügen und ihr hart verdientes Geld stehlen.

Das letzte Kapitel verherrlicht die Hitlerjugend und ermuntert die Jugendlichen, dieser Organisation beizutreten. Es endet mit einer kurzen Erinnerung an die Worte Julius Streichers: “Ohne Lösung der Judenfrage keine Erlösung der Menschheit!” Worte, die in Streichers “Der Stürmer” häufig verwendet wurden und mehr als nur eine Anspielung auf die bald darauf folgende sogenannte “Endlösung der Judenfrage” sind.

Diese beiden Bücher, so schwer sie auch zu lesen und zu verdauen sind, sind wichtige Zeitdokumente, die die grausame Propaganda der Nationalsozialisten zeigen, die selbst vor kleinen Kindern nicht zurückschreckte. Beide Bücher waren sehr beliebt und wurden von Tausenden von Schülern in Deutschland vor und während der schrecklichen Zeit des Holocaust gelesen. Die Entmenschlichung des jüdischen Volkes, seine Darstellung als böses Wesen, das sich Deutschland unter den Nagel reissen wollte, war eine organisierte, durchdachte und perfide Einschüchterungstaktik, die auf die empfänglichen und beeinflussbaren Gemüter der Jugendlichen am besten wirkte.
Diese Kinderbücher zeigen auch, dass Rassenvorurteile weder angeboren noch instinktiv sind. Sie werden vielmehr sorgfältig eingeflösst, gelehrt und durch diese ausgearbeiteten pädagogischen Mittel aufgebaut.
Oded Fluss. Zürich, 23.3.2023