Dort, wo die Herzlzeder – Tu biSchewat und der Zionismus

Jeder Jude stiftet einen oder mehrere Bäume. Zehn Millionen Bäume!

Für die Juden, die in der Diaspora leben, ist Tu biSchevat ein etwas unpassender Feiertag. Auch bekannt als das neue Jahr der Bäume, verkündet dieser Feiertag das Ende der Regenzeit und die ideale Zeit, um mit dem Pflanzen zu beginnen. Das mag in Israel so sein, nicht aber in der Schweiz und anderen Ländern, wo der Feiertag, der im bürgerlichen Kalender normalerweise zwischen Ende Januar und Anfang Februar liegt, meist von starkem Regen und Schnee begleitet wird.

Vor der Gründung Israels spielte der Feiertag jedoch eine wichtige Rolle im Denken der Zionisten. Tu biSchewat symbolisierte die untrennbare Verbindung zwischen ihnen und dem Land Zion, und indem sie ihn feierten, zeigten sie, dass ihre zionistischen Bestrebungen sogar die Jahreszeiten überwinden konnten. Die Idee, einen Baum in Palästina zu pflanzen, auch wenn man nicht vor Ort war, hatte die Herzen vieler Zionisten erobert und die Spende für einen Baum, der dort gepflanzt werden sollte, war eine der häufigsten Spendenarten für den KKL und andere zionistische Einrichtungen.

Die Baumspende des Keren Kajemeth Lejisrael. Hg von Hauptbüro des KKL. Jerusalem, 1924.

Einer der grössten Inspiratoren für die Idee der Baumspende war Theodor Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung. In einem früheren Beitrag [https://breslauersammlung.com/2022/12/15/herzl-und-chanukka/ ] haben wir bereits Herzls Gedicht „Menorah“ besprochen, in dem er die Chanukka-Menora mit einem Silberbaum vergleicht. Dieser Vergleich verdeutlicht die Allegorie des jüdischen Volkes, das Wurzeln schlägt und wie ein Baum in seinem Land wächst. Es gibt jedoch noch zwei weitere Fälle, in denen der Baum eine sehr wichtige Rolle in Herzls zionistischem Denken spielt. Als Visionär erkannte Herzl schon vor seiner berühmten Reise nach Palästina im Jahr 1898 das Problem der schrecklichen Hitze und des fehlenden Schattens im Land und suchte nach Lösungen. In einem Tagebucheintrag vom 23. August 1896 bietet er eine an:

Wir müssen einen nationalen Baumverein zur Aufforstung des Landes gründen. Jeder Jude stiftet einen oder mehrere Bäume. Zehn Millionen Bäume!

Wie viele von Herzls Ideen schien auch diese übertrieben und naiv zu sein, aber wenn wir die Zukunft betrachten und die Millionen von Spenden sehen, die von Juden und Jüdinnen in der ganzen Welt für diesen Zweck gespendet wurden, sehen wir, dass diese Idee, wie auch viele andere von ihm, verwirklicht wurde und sogar Herzls Erwartungen übertraf.

Herzl war nicht nur ein Visionär, sondern vor allem ein sehr praktischer Mensch. Auf seiner berühmten Reise nach Palästina hinterliess er ein sehr bedeutungsvolles Andenken an seinen Besuch. Eine sehr beliebte zionistische Hymne am Ende des 19. Jahrhunderts war das Gedicht „Dort, wo die Zeder“ des Dichters Dr. Isaac Feld (1862-1922). Es war so beliebt, dass Herzl selbst es für den besten Kandidaten für die neue israelische Nationalhymne hielt, und als er auf dem ersten Zionistenkongress seinen Willen äusserte, nachdem das Lied von dem Basler Kantor Sigmund Drujan-Bollag gesungen worden war, erhielt er stehende Ovationen.

Zürcherische Freitagszeitung, Nummer 36, 3. September 1897

Das Gedicht, das auf Jiddisch geschrieben wurde, aber erst in seiner deutschen Übersetzung berühmt wurde, debütierte in Palästina, während Herzls Besuch im Jahr 1898. Herzls Delegation hatte das Lied spontan bei einem Besuch in Chaderah gesungen, wie wir aus Willy Bambus‘ Buch „Palästina, Land und Leute“ erfahren, das im selben Jahr erschien.

[…]bald waren wir auf dem richtigen Wege und in einer Viertelstunde fuhren wir in Chedereh ein unter Absingen des Zionliedes „Dort wo die Ceder blüht.“ Der Gesang weckte zunächst alle Hunde des Dorfes[…]

Man kann also davon ausgehen, dass diese zionistische Hymne Herzl dazu inspiriert hat, in Motza auf dem Grundstück seines zionistischen Genossen und Pioniers Schmuel Broza (Broze) eine junge Zeder zu pflanzen, wie er in seinem Tagebucheintrag vom 4. November 1898 berichtet:

In Mozah pflanzte ich auf Brozes Grundstück, an dem geschützten Abhange, der von St. Jean abgekehrt liegt, eine junge Zeder. Wolffsohn pflanzte eine kleine Dattelpalme. Einige Araber halfen uns nebst den Kolonisten Broze und Katz.

Obwohl es wie eine kleine Nebengeschichte von Herzls Reise erscheint, sollte diese kleine Pflanze zu einem zionistischen Mythos werden und das nicht nur wegen der Anekdote, dass es sich gar nicht um eine Zeder, sondern um eine Zypresse handelte. Der Baum, der trotz Herzls Irrtum als „Herzlzeder“ (ארז הרצל) bekannt werden sollte, wurde nach Herzls Tod zu einem zionistischen Pilgerort. Es wurden Postkarten mit dem Bild des Baumes gedruckt und Gedichte über ihn geschrieben:

Ernst Müller – Moza. Die Welt. Berlin, 17.7.1908

Die Herzlzeder wurde noch mehr zum Mythos, als während des Ersten Weltkriegs im Jahr 1915 eine Gruppe von Arabern aus einem Nachbardorf sie entwurzelte. Jahre später behauptete die Tochter von Mohammed Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, dass ihr Vater es war, der den Baum aus Trotz entwurzelte. Dieser Vorfall wurde zu einer nationalen Tragödie und die Überreste der Pflanze wurden später in einem Glaskasten aufbewahrt.

Der Baumstumpf der Herzlzeder

Herzls Einfluss auf die Baumpflanzung in Israel war so gross, dass nur wenige Jahre nach seinem Tod ein Wald mit seinem Namen gepflanzt wurde. Der Herzl-Wald wurde zu einem beliebten Ort für Spenden von Juden aus aller Welt in Form eines Baumes, eines Hains oder sogar eines ganzen Waldes (1000 Bäume). Eine sehr beliebte Zeit für solche Spenden war natürlich Tu biSchewat.

Der Herzl-Wald (Die Baum-Spende). Hg von Hauptbüro des Jüdischen Nationalfonds. Den Haag, 1916.

Oded Fluss. Zürich. 2.2.2023

Addendum: Der liebe Freund der Bibliothek, Michael Guggenheimer, hat uns auf einen Text von Hanno Loewy, dem Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, aufmerksam gemacht, in dem es um einen kleinen Holzsplitter des Herzlzeder geht, der seinem Grossvater gehörte und jetzt in seinem Besitz ist. Wir fügen ihn mit der Erlaubnis von Hanno Loewy ein und danken ihm dafür:

Aus: Ein gewisses jüdisches Etwas : Dokumentation zur Ausstellung am 2. September 2007 im Schweizerischen Landesmuseum Zürich, veranstaltet von Omanut