Aus Knechtschaft zur Freiheit: Exlibris von David Frankfurter und Emil Ludwig

»Durchs Radio die Nachricht gehört, dass der nationalsozialistische Gauleiter, Agent und Spion in Davos von einem jugoslavischen Agenten erschossen worden. Warum hat man ihn so lange geduldet?«
Thomas Manns Tagebuch. Davos. 4. Februar, 1936.

Eines der Hauptexponate in unserer Ausstellung über jüdische Exlibris in der Schweiz ist das Exlibris von David Frankfurter (1909 – 1982). Es wurde uns grosszügigerweise von Moshe Frankfurter, dem Sohn von David Frankfurter, der in Jerusalem lebt, zur Verfügung gestellt.

In einer der umstrittensten Taten der Schweizer Geschichte war Frankfurter 1936 für das Attentat auf Wilhelm Gustloff, ein deutscher Nazi, notorischer Antisemit und Landesgruppenleiter der Auslandorganisation (AO) der NSDAP in der Schweiz, in Davos verantwortlich.
Frankfurter, der sich nach der Tat der Polizei stellte, erklärte seine Aktion sowohl als Racheakt für das jüdische Volk, das unter der mörderischen Hand des Dritten Reiches gelitten hatte, als auch als Präventivmassnahme, um die Ausbreitung der Nazi-Ideologie in der Schweiz zu verhindern:

»Ich habe die Schweiz sehr liebgewonnen. Sie war mir zu schade, daß solche Hunde das Gute hier verderben!«.

Die öffentliche Meinung in der Schweiz war während des Prozesses sehr gespalten. Es gab viele, die Verständnis für seine Tat zeigten, und viele, die sich darüber empörten. Der Prozess, der auch sehr politisch war, wurde vom deutschen Regime stark beeinflusst, welches Frankfurters Tat für seine Propaganda nutzte.

Das Exlibris wurde von einem Zellengenossen für ihn angefertigt während der Zeit, die er nach dem Attentat im Gefängnis in Chur verbrachte. Es ist ein Holzschnitt und besteht aus drei Hauptmotiven: eine Sonne, ein Davidstern und eine Kette. Die Sonne scheint stark auf den Davidstern unter ihr und zersprengt die Kette, die den Davidstern gefangen hielt. Dies soll die Situation von David Frankfurter darstellen, der für seine Tat zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Das Ex-Libris enthält auch die hebräische Schrift: „מעבדות לחרות“ „me-Avduth le-Cherut“, was „Aus der Knechtschaft zur Freiheit“ bedeutet und den Wunsch des jüdischen Volkes symbolisiert. Ironischerweise wurde der Künstler und Zellengenosse Walter Hausmann später ein Nazi (manche sagen, er wurde dazu gezwungen) und produzierte auch Arbeiten für die Nazi-Propaganda.

Das Ex-Libris von Emil Ludwig und eine Widmung des Autors Julius Bab an ihn.

Neben dem Exlibris von Frankfurter liegt in unserer Vitrine ein seltsames Exlibris, das den Namen Ludwig trägt. Es zeigt eine Nachbildung einer von Rembrandts berühmtesten Darstellungen seines Sohnes Titus, der ein Buch liest. Dank der Widmung neben dem Bild wissen wir, dass es sich um das Exlibris des berühmten Autors und Biografen Emil Ludwig (1881-1948) handelt. Ludwig, der ein grosser Bewunderer von Rembrandt war und auch zwei Bücher über ihn geschrieben hat, war David Frankfurters grösster Verteidiger während seines Prozesses. Noch im Jahr der Ermordung nahm Ludwig es auf sich, den Fall Frankfurter zu untersuchen. Er sammelte alle Informationen, die er bekommen konnte, befragte Frankfurters Familie und Bekannte und veröffentlichte sein berühmtes Buch „Der Mord in Davos“.

Emil Ludwig – Der Mord in Davos. Querido Verlag, Amsterdam, 1936.

„»Wie konnten Sie das tun! Sie haben ja so gute Augen!« David aber sah ihr ins Gesicht und erwiderte: »Ich bin ein Jude, Das sollte genügen«.“

Das Buch ist ein Plädoyer für Frankfurter, indem es sowohl seine Lebensgeschichte als Rabbinersohn verfolgt als auch den Prozess der Nazifizierung Europas detailliert beschreibt. Es vergleicht das Attentat mit anderen politischen Morden, die aus einem Gefühl von Gerechtigkeit und Ehre heraus begangen wurden, und kritisiert die Schweizer Justiz, die von der Angst vor dem deutschen Regime beeinflusst wurde.

Wolfgang Diewerge – „Der Fall Gustloff“ (1936) und „Ein Jude hat geschossen“ (1937) Franz Eher Nachf. Verlag, München.

Das Buch wurde 1936 vom berühmten Exilverlag Querido in Amsterdam veröffentlicht und in der Schweiz als Greuelpropaganda verboten, während zwei andere Bücher des Antisemiten, Nationalisten und Propagandisten Wolfgang Diewerge, die offen gegen Frankfurter hetzten und seine Auslieferung an Deutschland forderten, in der Schweiz zugelassen wurden.

David Frankfurter und Emil Ludwig, 1945.
Bild im Besitz von Moshe Frankfurter

„Ein gesunder junger Mann, nicht gross, gedrungen, mit ebenmässigen, gebräunten Zügen, mit offenem Blick und schmalen Munde trat durch das Gartentor und lächelte verlegen, als er dem alten Herrn Zum ersten Male die Hand schüttelte, der ihn damals vor der Welt verteidigt hatte.“

Die zweite Auflage des Buches mit dem treffenden Titel „David und Goliath“ erschien 1945 im Carl Posen Verlag in Zürich und enthält einen Epilog, der das erste Treffen zwischen David Frankfurter und Emil Ludwig beschreibt, nach dem ersterer aus dem Gefängnis entlassen worden war (er war zu 18 Jahren verurteilt worden, wurde aber bereits nach neun Jahren freigelassen):

Emil Ludwig – David und Goliath. Carl Posen Verlag. Zürich, 1945.

Am „Tag des jüdischen Buches“ 2023 kam Moshe Frankfurter, der Sohn Davids, in unsere Bibliothek und erzählte die Geschichte seines Vaters. Bei dieser Gelegenheit schenkte er uns auch die seltene Erstausgabe der Autobiographie seines Vaters נקם „Rache“. Die auf Deutsch geschriebene, aber 1947 zuerst in hebräischer Übersetzung erschienene Autobiographie wurde letztes Jahr (2022) endlich in der Originalsprache Deutsch veröffentlicht.

Moshe Frankfurter und das Buch, das er unserer Bibliothek geschenkt hat.

Oded Fluss. Zürich, 1.9.2022.