
Am diesjährigen internationalen Holocaustgedenktag möchten wir unseren Beitrag einer eher unbekannten Person widmen, die dennoch eine ganz besondere Verbindung zum Breslauer Rabbinerseminar und seiner Bibliothek hatte.
Israel Finkelscherer (1866-1942) wurde in Brody geboren und hat seine theologische Ausbildung am Rabbiner-Seminar in Breslau erhalten, wohin er schon mit einem gründlichen Wissen, besonders auf talmudischem Gebiet, gekommen war. Die dort wirkenden bekannten Meister der jüdisch-theologischen Disziplinen waren seine Lehrer, vor allem der Talmudist Israel Lewi (1841-1917), der später sein Schwiegervater werden sollte. 1893-1894 studierte er in Jena und wurde dort auch zum Dr. Phil. promoviert. Dr. Finkelscherer war schon in Breslau zur Vertretung für Seminardozenten des talmudischen Faches herangezogen worden war und hatte jahrelang die bekannte große Bibliothek des Seminars verwaltet.
1898 kam er nach München, wo er im rabbinischen Amt und im Lehrberuf sowie als Bibliothekar der Gemeinde arbeitete. Der Schriftsteller und Dichter Schalom Ben-Chorin (1913-1999) berichtet in seinen Erinnerungen: “Das umfangreiche Material für meine Studien hatte ich der reichhaltigen Bibliothek der Jüdischen Gemeinde entnommen, als deren Bibliothekar der gelehrte Rabbiner Israel Finkelscherer wirkte. Mit seiner spitzen Fistelstimme bemerkte er zu der Wahl meiner Lektüre ‘Warum lesen Sie dieses Zeug; Sie sind schon meschugge genug'”.
Als grosser Bücherliebhaber organisierte er am 22. März 1929 eine Ausstellung über das jüdische Buch. Dazu schrieb er einen kleinen Text, der am 15. März 1929 in der Bayerischen Israelischen Gemeindezeitung veröffentlicht wurde: “…für den Juden das Buch gleichsam den Inbegriff seiner Existenz als völkische Individualität bedeutet. Eine tiefe Verbundenheit besteht zwischen Buch und Judentum. Das Buch (Die Thora) hat den Juden erst geschaffen und geformt, ihm religiöse Einheit und völkische Realität gebracht und im Buche (der Bibel) hat das Judentum sein geistiges und sittliches Ideal als wirkendes kulturelles Element der Welt übergeben. Von dem Lande seiner erste Heimat losgerissen ist das Buch der Heimatboden geworden, auf dem seine Eigenheit gewahrt blieb, auf dem das Erbe der Väter in treuer Hut gepflegt in jeder Periode seiner Geschichte ihm kraftspendende Früchte getragen hat. Ein Buch ist es, das dem Judentum die Fähigkeit verliehen hat, losgelöst von nationaler Gebundenheit, von Landesgrenzen nicht eingeengt, sich sein religiöses und geistiges Leben auszubauen und durch die Jahrtausende zu erhalten…”
Im Juli 1936 konnte man im “Israelitschen Famillienblatt” noch von einer Feier zu seinem 70. Geburtstag lesen, die von der jüdischen Gemeinde in München zu seinen Ehren veranstaltet wurde, doch das sind die letzten positiven Nachrichten, die uns begegnen. Am 15. Mai 1942 wurden Israel Finkelscherer, seine Frau und seine beiden Söhne gezwungen, ihre Wohnung zu verlassen und in eine so genannte “Judenwohnung” neben der bereits in der Pogromnacht zerstörten “Ohel Jaakov” Synagoge zu ziehen. Am 25. Juni sollte dies der Ausgangspunkt für ihre Deportation nach Theresienstadt sein.
Am 6. Oktober 1942 kam er im Ghetto Theresienstadt ums Leben. Seine Frau Bella (Lewi) Finkelscherer starb einen Monat später.