Der Dichter, der Blumen schrieb

Agudat Perachim „Blüthenstrauß“, Altona 1880 Breslauer Sammlung BH 8

„Nehmt hin, liebe Leser, diese anspruchslosen Blüthen…“

Jochanan Wittkower (1830-1889) war Dichter, Übersetzer, Lehrer, aber vor allem Hebraist. Sein Buch אגדת פרחים „Blüthenstrauss“, das er 1880 im Selbstverlag herausgab, fasst sein Lebens- und Liebesprojekt auf einzigartige und wunderbare Weise zusammen. Das Buch ist der hebräischen Sprache gewidmet und ist ein frühes Zeugnis für die Bedeutung jüdischer deutscher Gelehrter bei der Erneuerung der alten Sprache im 19. Jahrhundert.

Als Geschenk zugedacht, sollte das Buch vor allem die Leidenschaft der jungen Generation für die heilige Sprache wieder erwecken, oder wie Wittkower in seinem schönen Vorwort schreibt „Nicht Ruhmbegier oder Aussicht auf pecuniäre Vorteile veranlassen mich zu diesem Schritte, sondern unbegrenzte Liebe zu unserer heiligen Sprache und das aufrichtige Streben, diese Liebe auch im Herzen unserer Jugend, wo sie leider erkältet ist, wieder anzufachen.“ Als Hebräischlehrer in der jüdischen Gemeinde von Altona erklärt Wittkower die pädagogische Idee, die dem Aufbau des Buches zugrunde liegt: „…in meiner langjährigen Praxis als Jugendbildner hatte ich vielfach Gelegenheit, zu bemerken, dass Schüler sowohl, als auch Schülerinnen eine leichte Übersetzung trefflicher Kernsprüche in poetischer Form mit Freuden ihrem geistigen Schatze einverleibten und oft dadurch angeeifert wurden, sich in Ähnlichem zu versuchen.“ Diesem Verständnis folgend, enthält das Buch hauptsächlich Gedichte, Fabeln und kurze Artikel in einer zweisprachigen Form, bei der die Originalsprache auf der einen Seite und die Übersetzung auf der gegenüberliegenden Seite steht. Wittkower hat diese sowohl aus dem Hebräischen ins Deutsche als auch aus dem Deutschen ins Hebräische übersetzen lassen, was sich im Buch als eine umfangreiche Sammlung präsentiert, die von Gedichten von Goethe und Schiller bis zu Gedanken und Sprüchen aus Talmud und Midrasch reicht.
Um eine Vorstellung von dem reichen Inhalt des Buches zu vermitteln, geben wir ein Verzeichnis der einzelnen Abteilungen mit Beispielen aus jedem Bereich wieder:

Der erste Teil פרחי לבנון „Moral-Gedichte zur Erbauung und Belehrung“ betrifft hauptsächlich religiöse und moralische Themen und soll lehren, wie man ein ethisches Leben führt.

Der zweite Teil פרחי נעמנים besteht aus Gedanken und Sprüchen aus dem Talmud, sowie aus Sinn- und Volkssprüchen.

Der dritte und unterhaltsamste Teil פרחי שעשועים „Epigramme“ enthält ernste und erbauliche, aber auch scherzhafte und satirische Inhalte.

Dieses Gedicht wurde zum Gedenken an den Bruder des Autors geschrieben und sollte neben seinem Grab rezitiert werden.

Der vierte Teil, פרחי העתים „Gelegenheits-Gedichte“, besteht, wie der Name schon sagt, aus Gedichten und Sprüchen, die zu bestimmten Zeiten und Gelegenheiten verwendet werden sollen. Hier bringt der Verfasser Gedichte für fröhliche Anlässe wie Hochzeiten und Geburtstage, auch für traurige Anlässe wie Beerdigungen.

Zwillinge, die im selben Grab liegen: „Nackt sind wir zusammen aus dem Mutterleib gekommen, und nackt kehren wir zusammen in den Mutterleib [die Erde] zurück“. ein Gott hat uns beide geschaffen, wie könnte der Tod uns trennen? gemeinsam kehren wir dorthin zurück, woher wir gekommen sind, gemeinsam werden wir am Tag der Erlösung wiederkommen.

Der Anhang des Buches besteht aus zwei Teilen, die vielleicht die interessantesten und wichtigsten auch für Forschungszwecke sind. Diese beiden Teile: פרחי תמרורים „Grabschriften“ und פרחי זכרון „Grabschriften der auf dem alten Friedhofe zu Altona ruhenden Rabbinen und Gelehrten“ bestehen aus Texten, die der Autor von Grabsteinen abgeschrieben hatte. Diese sind manchmal anonym und der Titel lautet einfach „Mutter eines Kindes“, „Ehemann und Ehefrau“ oder „Grabstein eines Augenarztes“, aber manchmal, wenn es sich um eine wichtige Persönlichkeit handelt, bringen sie den vollen Namen des Verstorbenen. Viele Fälle sind faszinierend, wie der Grabstein der „Zwillinge, die zusammen im selben Grab lagen“ oder der von Rabbiner Jonathan Eibeschütz, der seine eigene Grabinschrift schrieb.

Die Grabinschrift des Rabbiners Jonathan Eibeschütz, „in seiner eigenen Handschrift gefunden und auf seinem Grab präsentiert“.

In der Breslauer Sammlung findet man auch ein Buch, das dem Autor des hier vorgestellt Buches, Jochanan Wittkower, gehörte. Das Buch „Sefer Bechinot Olam“ „das Buch der Untersuchung der Welt“ wurde 1768 in Dyhernfurth [heute Brzeg Dolny in Polen] gedruckt und auf der ersten Seite des Buches findet man die handschriftliche Signatur von Jochanan BSL“Z (ben Scholomo Zalman) Wittkower. Altona.